Nach rund 40 spannenden Berufsjahren im Winkler Medien Verlag verabschieden sich Gabriela und Gunnar Reckstat aus dem aktiven Berufsleben. Chefredakteurin Karin Mauro hat beide zu ihrem Resümee befragt.

 

Welchen Background hattet Ihr vor Eurem beruflichen Start im Verlag?
GABRIELA RECKSTAT: Mein Beruf wurde mir in die mit weichen Stoffen liebevoll drapierte Wiege gelegt. Umgeben von Büchern und Zeitschriften, faszinierten mich die Geschichten, die mir vorgelesen wurden und meine Phantasie beflügelten. Wie von selbst ergab sich meine berufliche Laufbahn, nach Abitur und spannendem Publizistik-Studium, im Verlag meines Vaters. Bereits während des Studiums brannte ich darauf, die Praxis der Herstellung von Büchern und Zeitschriften kennenzulernen und mich inhaltlich mit dem Thema zu beschäftigen, das mich seit meiner Kindheit bewegt hat – meine Eltern hatten ein Faible für schöne Einrichtungen: das Einrichten von Räumen und nun in seiner ganzen handwerklichen Professionalität darüber zu berichten.

GUNNAR RECKSTAT: Ende der 1970er- Jahre, es herrschte seinerzeit Lehrstellenmangel, hatte ich das Glück, eine Ausbildung zum Industriekaufmann bei den Adoros-Teppichwerken in Berlin zu absolvieren. Ein vollstufiger Betrieb, von der Rohwolle-Anlieferung aus Neuseeland bis hin zum fertig gewebten Teppich – alles aus einer Hand. Anlässlich einer Presseveranstaltung lernte ich als Marketingverantwortlicher im September 1985 die RZ-Redakteurin Gabriela Winkler, meine Frau fürs Leben, kennen. Nachdem Berlin als Mauerstadt nicht unbedingt die besten Berufschancen bot, entschloss ich mich 1986 nach München zu ziehen und war dort für einige Jahre in der Büroeinrichtung und letztendlich als Gebietsverkaufsleiter für einen Hersteller tätig.

Wie war damals die Situation der Raumausstatter- und Einrichtungsbranche?
GABRIELA RECKSTAT: 1983 begann mein Berufsweg, elf Jahre nachdem mein Vater das Fachorgan für den Zentralverband des deutschen Raumausstatter- und Sattlerhandwerks (ZVR) – die RZ Raumausstatter Zeitschrift – gegründet hatte. Inzwischen war unsere Fachzeitschrift bei den über 18 000 Raumausstatter-Betrieben fest etabliert und sie war Spiegelbild der florierenden Einrichtungsbranche. Die Messen erlebten gerade einen rasanten Aufschwung, ob die Interzum für den Innenausbau in Köln oder die das gesamte textile Einrichtungsspektrum anbietende Heimtextil in Frankfurt mit der für mich unvergesslichen, hollywoodreifen „Visiona“-Show von Bayer für seine Faser Dralon, auf der die spektakulär inszenierten neuen Faser-, Farb- und Einrichtungstrends für Fachbesucher aus aller Welt präsentiert wurden. Aber auch die überregional bedeutenden Fachmessen in Dortmund, Sindelfingen, München und Berlin meldeten Aussteller- und Besucherrekordzahlen. Nach den glorreichen textilen 1970er-Jahren, in denen der Teppichboden Kultstatus erhielt, Gardinen und Vorhänge begehrt waren sowie Tapeten mit überbordenden Mustern und in poppigen Farben, hält zu Beginn der 1980er-Jahre neben der gemütlichen ,Loriot-Sofa‘-Einrichtung, die Coolness Einzug mit dem Thema ,Wohnen in Weiß‘ – Marmor, Chrom und gechintzte Dekostoffe. Dekorative Vorhangstangen von Anna Golin und Seilspanner waren Stil-Ikonen, an denen fließende Transparentstoffe in heiteren Pastellfarben hingen. Die Branche erlebte in den 1980er- Jahren ein Trading-up. 26 hochwertige internationale Textilverlage präsentierten sich als „Atmosphere-Gruppe“ auf der Heimtextil und das Deco Team feierte 1989 mit 15 deutschen Stoffproduzenten Premiere auf der Heimtextil. Die Bodenbelagsbranche wuchs so schnell, dass die Halle 8 auf der Heimtextil zu eng wurde, sie in Hannover einen Messeplatz suchte und 1989 die Domotex-Messe startete.

GUNNAR RECKSTAT: 1992 trat ich in den von meinem Schwiegervater geführten Peter Winkler Verlag ein. Ich war jung und traute mir als Marketingleiter gemeinsam mit meiner Frau und meinem Schwager Klaus alles zu. Es herrschte seinerzeit mit der Wiedervereinigung eine Aufbruchstimmung, der Einrichtungsmarkt prosperierte auf vielen Ebenen, neue Regionalmessen, Verbände mit beeindruckenden Mitgliederzahlen – kurz, es boomte. Wir hatten zeitweilig sogar das Luxusproblem, alle Anzeigen in einer RZ-Ausgabe unterzubringen.

Wenn Ihr zurückblickt auf 40 Jahre in der Branche – was waren die Meilensteine?
GUNNAR RECKSTAT: Aufbauend auf der Tatsache, dass die RZ offizielles und einziges Fachorgan des deutschen Raumausstatter-Verbandes war und ist, würde ich, rein branchenbezogen, mehr von Strömungen als Meilensteinen sprechen. Einflüsse aus der Mode, die Popularität neuer Produkte wie Laminat, später Sonnenschutz, oder die Fokussierung auf das Thema Nachhaltigkeit, hatten und haben eher Langzeitwirkung als eruptiven Charakter. (Radikale Änderungen waren nie Sache des Raumausstatter-Handwerks.)

GABRIELA RECKSTAT: Ja, im Grunde genommen stimmt das. Wenn ich den Terminus Meilenstein dennoch aufgreife, dann ist für mich der Mauerfall 1989 ein solcher Wendepunkt. Das Handwerk vereinte sich Mitte der 1990er-Jahre, der RZ kam als Sprachrohr des ZVR beim Aufbau eines gesamtdeutschen Handwerkswesens und als Bindeglied zwischen Raumausstatter-Handwerk sowie -Fachhandel, Großhandel und Industrie eine herausgehobene Position zu. Die gesamtdeutsche Raumausstatter-Branche florierte, die RZ gewann weiter an Ansehen, an Abonnenten, Umfang und Umsatz.

Als gewissermaßen Revolution am Fenster sehe ich mit Beginn des 21. Jahrhunderts die Entwicklung vom Kulturgut Vorhang zum hippen und funktionalen innenliegenden Sonnenschutz, der sich zugleich als Energiesparer profiliert. Nahezu parallel fand diese revolutionäre Entwicklung am Boden statt, vom Design-Teppichboden zum Laminat- oder LVT als It-Bodenbelag mit authentischer Holzoptik. In der Langzeitperspektive stellen wir fest, dass die Sehnsucht nach weichen, schönen und kreativen Textilien sowohl am Fenster, bei Polstermöbeln und auch am Boden als Teppich wieder erstarkt ist und das Angebotsportfolio der Raumausstatter bereichert. Internet, Smartphone und Social Media katapultierten uns in die 2010er-Jahre, gewinnen zunehmend zu klassischen Medien an Bedeutung, verändern die Kundenansprache, erzielen größere Reichweiten, erhöhen die Frequenz der Kontakte, unterstützen Raumausstatter in der Beratung und optimieren ihre ganzheitlichen Einrichtungskonzepte, unter anderem auch mit Smart Home-Automatisierung. Welche ungeahnten Möglichkeiten die künstliche Intelligenz (KI) als neue Schlüsseltechnologie für alle Gesellschafts- und Berufsbereiche, der Einrichtungsbranche noch eröffnen wird, wird die Zukunft zeigen.

Wofür steht die RZ, welches sind ihre Alleinstellungsmerkmale?
GUNNAR RECKSTAT: Ende der 1980er-Jahre gab es Telefonzellen und der Vierfarb-Druck in einer Zeitung war Luxus. Die Umstellung auf die durchgängige Vierfarbigkeit bei unserer Fachzeitschrift sorgte für Aufsehen und war zugleich en vogue.

Der Wandel im Markt von der reinen Warenverteilung, Verkauf und Verarbeitung hin zu differenzierter Beratung, konzentrierter Auswahl der Lieferanten, individualisierten Marketingkonzepten für die erfolgreiche betriebswirtschaftliche Orientierung der Betriebe – viele dieser branchenrelevanten Themen hat die RZ als Transformator zwischen Industrie, Großhandel, Verleger und Handwerk aufgegriffen und lösungsorientiert behandelt – seit über 50 Jahren.

Prägend sind unsere Rubriken wie „Aus Fehlern lernen“, später „Boden-Profi“, die dem bodenlegenden Handwerk und der Zulieferindustrie wertvolle Erkenntnisse auch in Haftungsfragen vermitteln, ebenso die handwerkspolitischen und rechtlichen Informationen des ZVR sowie die Exklusiv-Reportagen von Sachverständigen des BSR (Bundesverband der vereidigten Sachverständigen für Raum und Ausstattung) zu allen Arbeitsgebieten und Einsatzbereichen des Raumausstatters.

GABRIELA RECKSTAT: Die Raumausstatter Zeitschrift hat seit jeher besonderen Wert darauf gelegt, den Zeitgeist aufzuspüren und die aktuellen Interior- und Modetrends widerzuspiegeln, innovative Einrichtungsprodukte, die wir auf inländischen und internationalen Messen entdeckt haben, vorzustellen sowie erfolgreiche Unternehmensstrategien aus Handwerk und Handel. Seit dem Relaunch unseres Fachmagazins 2015 stecken wir mit dem Titelclaim RZ – Trends Interior Design unsere Zielsetzung für eine noch zugespitztere Ansprache ab: In der Rubrik Einrichten behandeln wir beispielsweise das Thema Nachhaltigkeit in der Tiefe, praxisnah und zeitgeistig zugleich, in unserem Spezial stellen wir Materialien im Energie-Check vor, bereiten stylische und umsatzträchtige Themen wie Outdoor oder Akustik auf oder geben zusammen mit der Generation Handwerk die mediale Initialzündung für die so notwendige Ausbildungsinitiative in der Branche und vieles weitere mehr. Der Anspruch der RZ war und ist es immer, ihren Lesern relevante Inhalte zu bieten, die marktvorausschauend und zukunftsweisend sind.

GUNNAR RECKSTAT: Auch unser Engagement als Medienpartner für das namhafte Deco Team hat unserer Überzeugung nach qualitativ wertvoll zum Zusammenhalt der Branche beigetragen. Die RZ versteht sich nicht nur als reines Fachmagazin, sondern zusammen mit unserer Wohnzeitschrift DECO Home auch als Veranstaltungspartner wie seit 1998 des Münchner Stoff Frühlings sowie der in den 2000er-Jahren begonnenen Deutschen Inneneinrichter- Kongresse, zuletzt Future Living Interior Congress 2020 in München. Kurzum: Wer im Markt den Raumausstatter und Inneneinrichter als Zielgruppe erkennt, findet mit der RZ – Trends Interior Design einen Fachtitel mit wenig Streuverlusten. Die Fokussierung auf das Handwerk und den Fachhandel, ohne das Schielen auf andere Vertriebsformen und Lesergruppen, schärft unser Profil.

 

Aus dem Peter Winkler Verlag wurde 1997 der Winkler Medien Verlag. 2022 feierte die Geschäftsführung mit ihren Mitarbeitern das 25-jährige Bestehen in der Staatsoper in München.

 

Welche Bedeutung hat die Digitalisierung?
GABRIELA RECKSTAT: Durch unser Online-Portal raumausstatter.com, seit 2021 im aktuellen Look, und unsere Social Media-Aktivitäten auf Facebook und Instagram ist die Leser-Blatt-Bindung noch enger geworden und hat sich die Reaktionsgeschwindigkeit enorm erhöht. Ein Gradmesser sind unsere Leserumfragen zu den journalistischen Inhalten der RZ, zu der Auswahl der Themen, Aktualität, Aufbereitung und Gestaltung. Um maßgeschneiderte Inhalte für unsere Leser zu produzieren, sind uns schnelle Feedbacks so wichtig. Wir haben oft innerhalb von nur einem Tag bis zu 500 Antworten erhalten! In der hohen Beteiligungsquote zeigt sich die große Verbundenheit der Leser.

Wie hat sich der Beruf des Raumausstatters verändert?
GUNNAR RECKSTAT: Heute ist der Raumausstatter mehr denn je auch ein Lebensberater. Es bedarf psychologischen Feingefühls im Kundengespräch, aber auch um seine Mitarbeiter zu motivieren. Handwerkliches Können ist Voraussetzung und die Konzentration auf Tätigkeitsschwerpunkte speziell bei kleineren Betrieben notwendig. Es bleibt aber dabei: Ohne Leidenschaft in der Beratung für die Einrichtung und für das Produkt geht es nicht!

Was hat Euch am meisten Freude gemacht und was werdet Ihr vermissen?
GUNNAR RECKSTAT: Der Kontakt mit Menschen, mit den Redaktionen der RZ und DECO Home, der Meinungsaustausch auf Messen, Tagungen oder anlässlich Pressereisen. Dankbar bin ich für die Möglichkeit, in einem Familienunternehmen arbeiten zu dürfen, 2022 das Jubiläum „50 Jahre RZ“ und unser großes Verlagsjubiläum feiern zu können! Schließlich die Wertschätzung im Verlag und der Marktteilnehmer und natürlich die persönlichen Momente, aus denen auch Freundschaften entstanden sind.

GABRIELA RECKSTAT: Meine allergrößte Freude war es, und dafür bin ich zutiefst dankbar, dass ich auf meinem Berufsweg Seite an Seite zunächst mit meinem Vater, dann auch mit meinem Bruder und schließlich mit meinem lieben Mann in familiärer Harmonie zusammenarbeiten durfte – immer im gemeinsamen Bestreben um die besten Ideen, Konzepte und Ergebnisse für unsere Leser, Kunden und schließlich für den gesamten Verlag mit allen unseren festen und freien Mitarbeitern. Beide Leidenschaften, das Zeitschriftenmachen und das Einrichten von Räumen miteinander verbinden zu können, den technischen wie modernen Wandel in beiden Branchen mit zu begleiten und kreativ zu gestalten und dabei immer im Austausch mit vielen interessanten und sympathischen Menschen zu stehen, hat mich zu jeder Zeit als Chefredakteurin wie als Herausgeberin mit großem Glück erfüllt. Vieles davon werde ich vermissen und ganz besonders meine Kolleginnen und Kollegen sowie langjährige Wegbegleiter – ein Wiedersehen ist vielen hiermit schon versprochen. Aber zugleich freue ich mich darauf, wie unter der souveränen Redaktionsleitung von Karin Mauro und ihrem engagierten Team die RZ in eine neue zukunftsweisende Fachzeitschriften-Ära geführt wird. Die gehobenen Einrichtungswünsche der viel beschriebenen Babyboomer- und Erbengeneration lassen eine prosperierende Zukunft für die gesamte Raumausstatter- und Einrichtungsbranche erwarten!

Was sind Eure Pläne?
GUNNAR RECKSTAT: „Alles kann – nichts muss.“ Vieles musste verständlicherweise aus Zeitgründen zugunsten des Verlages zurückgestellt werden, die neue Perspektive, in Messezeiten zum Beispiel nicht nach Frankfurt zu fahren, verursacht mir noch ein schlechtes Gewissen – aber ich arbeite daran. Meine Frau und ich werden uns dabei gegenseitig unterstützen und die Branche auch zukünftig interessiert verfolgen – von der Seitenlinie aus.

GABRIELA RECKSTAT: Viel Zeit zu haben. Mit weiterhin großer Lebensneugier die wunderbare Welt erforschen und dabei mit dem Herzen unserer Einrichtungsbranche, dem Verlag und insbesondere der RZ – Trends Interior Design für immer verbunden bleiben.

Vielen Dank für das Gespräch und alles erdenklich Gute für die Zukunft!