Mit Vergabe des ersten Nachhaltigkeitszertifikats für Wohnhäuser scheint der Weg vorgezeichnet, dass auch im Innenraum bald nur noch „zugelassene“ Materialien verarbeitet werden dürfen – oder nicht?

Das erste zertifiziert nachhaltige Wohnhaus ist gebaut, ein zirkulärer Teppichboden erfunden, kompostierbare Vorhänge gewebt und Rollos aus recycelten Fischernetzen montiert: Kommt nun auch für Raumausstatter ein verpflichtender Nachweis der Nachhaltigkeit seiner ausgeführten Tätigkeiten? Aus heutiger Sicht muss man sagen: Es kommt darauf an! Wer derzeit aufgeregte Kunden im Laden hat, die wissen wollen, wie viel Heizkosten sie sparen könnten, wenn sie sich für dieses Plissee oder jenes Rollo entscheiden, hat eine Vorstellung davon, wie dünn das Eis ist, wenn man mit nachhaltigen Verkaufsargumenten Vertragsabschlüsse erzielen will. Denn seriös beantworten kann man diese Fragen nicht – es kommt eben darauf an! Voraussichtlich wird der Raumausstatter für einen Großteil seiner Arbeiten keinen Nachhaltigkeitsnachweis bringen müssen: In Anlehnung an die Gewährleistungsregeln werden diese wohl nur für Arbeiten an einem Gebäude gefordert, also immer nur dann, wenn er beispielsweise einen Bodenbelag fest verklebt oder eine Wärmedämmung anbringt – seine Tätigkeit also auf die Substanz des Gebäu- des einwirkt. Einfache Renovierungsmaßnahmen, dekorative Verschönerungen wie das Tapezieren einer Wand, das Aufhängens einer Gardine, die Montage einer Jalousie oder das Aufpolstern eines Sessels werden wohl nicht dazugehören. Also erst mal aufatmen? Jein! Die Dynamik im Markt ist derzeit so groß, dass zwar keine (gesetzlich) verpflichtende, aber vielleicht eine vom Konsumenten geforderte (freiwillige) Zertifizierung erfüllt wer- den muss, um weiterhin „im Geschäft“ zu bleiben. Vielleicht entwickelt die Raumausstatter-Branche ja auch ein eigenes Zertifikat oder vorhandene Systeme wie das der QIH (Qualität im Hand- werk) werden auf nachhaltige Aspekte ausgeweitet: Betriebe, die Müll vermeiden, Recyclingmaterialien verwenden, nur erneuerbare Energien verbrauchen und mit dem E-Transporter zum Kunden fahren, erhalten vier Sonnenblumen, die Konkurrenz, die noch mit Diesel im Tank unterwegs ist, nur drei. Der Kunde entscheidet dann, wie „grün“ das Unternehmen sein soll, das seinen Auftrag bekommt!

Rücknahmeregelung durch die Hintertür

Als wahrscheinlich gilt, dass in absehbarer Zeit die Rücknahme von alten Bodenbelägen, aber vielleicht auch bald von Sonnen- schutz-Anlagen, Dekostoffen oder Polstermöbeln vorgeschrieben wird. Vorbild hierfür könnte das seit 2015 geltende Elektro- und Elektronikgerätegesetz sein, das Händler verpflichtet, beim Neu- kauf Altgeräte, die sie selbst nicht verkauft haben, zurückzunehmen. Durch die Hintertür wird dieses System bereits bei Bodenbelägen eingeführt: Hersteller mit Rücknahmekonzepten halte schon heute Bodenleger dazu an, Verschnittreste und Altbeläge für das Recycling bereitzustellen, anstatt diese im Container entsorgen zu lassen. Auch andere Anbieter könnten gezwungen sein, zur Erfüllung der eigenen Wiederverwertungsquoten ihre Kunden im Handwerk zu verpflichten, ihnen bei der Rückführung der Waren in den Werkstoffkreislauf „behilflich“ zu sein. Das Handwerk scheint gut beraten, diese Entwicklung genau zu beobachten und aus der aktuellen Stärke heraus die Konditionen hierfür mitzuverhandeln – eine einmalige Chance für Berufs- oder Einkaufsverbände, sich zu profilieren.

Wiederverwertung als Zielvorgabe

Die Bundesregierung hat angekündigt, einen digitalen Gebäuderessourcen-Pass einzuführen, ohne diesen inhaltlich näher zu konkretisieren. Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) hat jetzt einen Vorschlag veröffentlicht und bis Mitte September zur Diskussion gestellt (www.dgnb.de). Nach dem Vorbild des erfolgreichen Energieausweises soll dies eine Maßnahme sein mit dem Ziel, auch im Gebäudebereich zu einer Kreislaufwirtschaft zu kommen. Hintergrund des Aktionismus ist die Forderung der Europäischen Union, schnellstmöglich den Übergang von einer Linearwirtschaft zu einer Kreislaufwirtschaft umzusetzen. Diese wiederum setzt unter anderem auf Wiederverwertung und Reparatur – mit anderen Worten: auf das Handwerk, ohne dessen Leistung die ambitionierten Ziele nicht umzusetzen sind.

Text: Jens Lehmann | Artikelbild: Baufritz